Die versteckten Vorteile von Dungeons and Dragons
Aaron BotterEs ist ein etablierter Trend, Dungeons & Dragons mit diversen kleineren Pen & Paper Spielen zu vergleichen. Oft drehen sich entsprechende Videos und Blog-Beiträge dabei um die Frage, welche Mechaniken man von diesen Spielen nehmen und in D&D (5th Edition oder die 2024er Version) einbauen könnten. Die Fortschritts-Uhren von Blaes in the Dark, die Skill Challenges von 4th Edition oder die Monster Protokolle von Crown & Skull kommen dabei immer wieder vor. Alle lieben es, die besten Mechaniken von anderen Spielen in ihr D&D Spiel einzubauen.
Dieser Prozess ist allerdings nicht auf Spielmechaniken limitiert. Auch allgemeine Ideen zum Spielverlauf, wie kollaboratives Worldbuilding aus Dungeon World, werden zu D&D importiert. Manchmal inspirieren uns einige Spiele auch, D&D zu vereinfachen, wie die simplen Statblocks aus ICRPG.
Das hat mich zum Nachdenken gebracht - geht das auch andersherum? Gibt es Lektionen, die wir von D&D 5th Edition oder 2024 lernen können? Können wir auch Mechaniken "zurückklauen"?
Die wohl am weitesten verbreitete Idee von D&D 5e ist die Advantage/Disadvantage (Vorteil/Nachteil) Mechaik. Hier erklärt Marisha Rey von der erfolgreichen Actual Play Show Critical Role die Mechanik, sechs Jahre bevor die Show die Mechanik für ihr eigenes Spiel Daggerheart adaptieren würde.
Die lange Rast: Ein selbst auswählbarer Schwierigkeitsgrad
D&D ist ein einfaches Spiel. Es gibt zwar viele Regeln, aber das Spiel zu "gewinnen" ist nicht schwer. Kämpfe mit Gegnern, welche mit dem offiziellen Herausforderungsgrad designed wurde, sind selbst für untaktische Gruppen leicht zu besiegen. Einer der Hauptaspekte, der das Spiel hier einfach macht, ist zweifelsohne die lange Rast: Wann auch immer die Spielenden möchten, können sie alle Resourcen zurückerlangen, indem sie eine lange Rast ankündigen. Dies kostet lediglich 8 Stunden der Zeit, die im Spiel vergeht - was in den meisten Szenarien relativ egal ist. Es gibt zwar Möglichkeiten, den Druck etwas zu erhöhen, aber die Spielleitung bekommt vom Spiel keine besondere Handhabe, dies zu tun. Sogar das oft empfohlene Unterbrechen von langen Rasten tut tatsächlich relativ wenig, da die Rast bis zu einer Stunde (!) unterbrochen werden kann, nur um danach fortgesetzt zu werden. Die meisten Kämpfe dauern unter einer Minute.
Das macht es für Spielleitungen schwieriger, die Kämpfe herausfordernd zu gestalten. Es hat aber auch den Vorteil, dass die Spielenden sich ihre eigene Schwiergkeit setzen können. Wenn sie sich mutig und stark fühlen, können sie einfach diverse Kämpfe ohne Rast durchziehen, bis sie das Böse bezwungen habe. Wenn sie sich dagegen unsicher fühlen, hindert sie auch wenig daran, einfach einige Rasten durchzuführen. Technisch gesehen dürfen sie pro Tag nur eine lange Rast durchführen, aber solange ein In-Game Tag nicht mehrere Sessions dauert, wird diese Regel nicht oft Wirkung zeigen. Auf diese Weise entsteht eine Balance - macht die Spielleitung das Spiel schwerer, können die Spielenden das Spiel mit mehr Rasten einfacher machen. Macht die Spielleitung das Spiel leicht, werden sie sich sicherer fühlen, auch ohne Rasten voran zu preschen.
Wir können also lernen, dass es Sinn ergeben kann, die Macht der Spielleitung mit starken regenerativen Mechaniken zu balancieren, die die Spielenden selbst aktivieren können, um das Gefühl der Fairness zu erhöhen. Wenn diese Mechaniken einen niedrigen, aber spürbaren Preis haben (wie das Vergehen von 8 In-Game Stunden), wird die Mechanik so nicht zu häufig benutzt, aber kostet wenig genug, dass sie nicht weh tut. Wenn es sich bei diesem Preis um eine Resource handelt, die Spielende und Spielleitung gemeinsam kontrollieren (wie den Fluss der Zeit), kann dies eine gemeinsame Verhandlung der Schwierigkeit befördern.
Charaktere können in D&D über eine lange Rast so gut wie alle ihre Fähigkeiten und Lebenspunkte zurückerlangen. Dies erlaubt es den Spielenden, die Schwierigkeit der Kampagne laufend anzupassen. Bild lizensiert von Dean Spencer
Lange Kämpfe: Kreative Pausen
Kämpfe in Dungeons & Dragons sind dafür bekannt, lang und umständlich zu sein. Es kommt zu vielen Schlagabtäuschen, ohne dass sich dadurch unbedingt die Dynamik der Szene ändert. Wenn man in den Kampf eintritt, ändert sich der Spielablauf komplett. Es geht vom frei fließenden Rollenspiel hin zu strikten 6-Sekunden-Runden und Initiativreihenfolge. Der vage Raum der Beschreibungen des Spielleiters verwandelt sich in eine strenge Bewegung auf einer Battlemap. Die Optionen verringern von den endlosen Möglichkeiten des Theatre of the Minds hin zu den harten Fakten der Battlemap und dem Charakterblatt.
Obwohl diese Faktoren kritisiert werden, hat dieser plötzliche Sprung von einem Rollenspielerlebnis zu einem taktischen Kriegsspiel auch Vorteile. In erster Linie stimuliert diese Art von Situation einen anderen Teil des Gehirns aus als Erkundungen oder soziale Begegnungen (traditionell im Theatre of the Mind gespielt). Die Spielleitung muss sich nicht länger clevere Beschreibungen ausdenken oder dramatische Szenen improvisieren, sondern kann sich zurücklehnen und entspannen, während die rechte Gehirnhälfte übernimmt. Jetzt geht es um Angriffsmodifikatoren, Zauberslots und Entfernungen.
Diese kreativen Pausen können der Spielleitung bei der Vorbereitung helfen. Natürlich ist ein Goblin-Hinterhalt nicht unbedingt ein dramatisches Meisterwerk, wird aber mit wenig Vorbereitung eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen. Während des Spiels kann es schön sein, die linke Gehirnhälfte zu entspannen, besonders, wenn man das Spiel gut kennt. Erfahrene Spielleitungen und Spielende können D&D-Kämpfe im Wesentlichen auf Autopilot spielen und einfach eine Weile ihren Gedanken freien Lauf lassen, um sich für das Rollenspiel zu erfrischen, das nach dem Ende des Kampfes folgt. Alternative Spielmodi, die sich völlig von dem regulären Spielverlauf unterscheiden, können daher gewisse Vorteile haben.
Die Karte von Outdoor Survival (1972). Dabei handelte es sich um ein seperates Spiel, dass sich zusätzlich zu Dungeons and Dragons gekauft werden musste, um das Spiel zu spielen. Strikte Prozeduren der Erkundung können der Spielleitung kreative Arbeit abnehmen und sie entlasten.
Konklusion
Es gibt eine Menge Dinge, die wir von anderen Pen & Paper Spielen lernen und in unsere eigenen Spiele implementieren können. Auch wenn es oft wie die Norm wirkt, hat D&D doch auch selbst einige verborgene Vorteile, die es sich zu Beachten lohnt. Wir können diese Lektionen analysieren und ggf. in unsere eigenen Spiele mitnehmen - auf dieselbe Weise, wie wir sonst Spielelemente in D&D einbauen.
Jonas von Dungeon Merlin hat eine super Antwort zu diesem Artikel verfasst, wenn dich eine andere Perspektive auf dieses Thema interessiert!